Titel: Kleine Feuer überall
Autorin: Celeste Ng
❀ Vor vielen Jahren (2008) reiste ich mit dem Wiener Jüdischen Chor nach Miami, und dort fuhren wir an irgendeinem Nachmittag durch Coral Gabels, wo uns unsere Reiseführerin erklärte, dass man hier den Rasen regelmäßig mähen müsse und tatsächlich nicht mal das Garagentor zu lange offenstehen lassen dürfe, ohne eine Anzeige zu riskieren. Alles sollte nett und adrett und aufgeräumt aussehen. Gleich auf Seite eins in „Kleine Feuer überall“ hatte ich wieder das Bild vor Augen ….
???? Inhalt:
Shaker Heights gibt es wirklich – die durch und durch geplante Gemeinde ist ein Vorort von Cleveland. Es gibt für alles Regeln, das Leben und Zusammenleben ist von A–Z durchdacht.
Elena Richardson, die hier aufwuchs, liebt diesen Ort. Und sie passt auch perfekt hierher, sie ist als Journalistin beim Regionalblatt zwar nicht unbedingt erfolgreich, aber ihr Mann, der in einer angesehenen Anwaltskanzlei arbeitet, ist es. Außerdem ist Elena Mutter von vier gesunden Kindern. Nun gut, fast gesund. Die letzte, die zu früh zur Welt kam, die letzte, um die sie sich immer so viele Sorgen machen musste, ist irgendwie anders. Rebellischer. Wütender. Nachdenklicher.
Da Elena und ihr Mann reich sind, vermietet Elena die Wohnung, die sie von ihren Eltern geerbt hat, zu einem geringen Preis. Elena sucht sich ihre Mieter:innen bewusst aus, sie will Menschen, die es verdient haben, unter die Arme greifen. Wie etwa der Künstlerin Mia Warren und ihrer Tochter Pearl.
Aber das erfahren wir erst nach und nach. Am Anfang steht nämlich ein Haus in Flammen – und zwar jenes, in dem Elena, ihr Mann und ihre Kinder wohnen. Klar ist auch: Es war Izzy, die in jedem Zimmer ein kleines Feuer gelegt hat.
Doch wie kam es dazu?
???? Meine Meinung
Celeste Ng weiß es, extrem spannend zu erzählen. Denn Mia Warren trägt ein Geheimnis mit sich herum, und Elena kommt ihm auf die Spur.
Doch warum lässt eine Mutter die andere auffliegen?
Vielleicht, weil sie die eigene Tochter, Izzy – die jetzt immer in der spärlich möblierten Wohnung bei Mia sitzt, um ihr bei der Arbeit zu helfen – nicht verstehen kann. Elena ist eifersüchtig. Was bildet sich Mia ein, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angehen!
Doch ist es nur Izzy, die bei Mia sitzt, wo sie endlich die nötige Freiheit und ein offenes Ohr findet? Hat nicht auch Pearl die Familie gewechselt und sitzt nun immer auf dem Sofa der Richardsons?
Die beiden Mädchen tauschen quasi das Umfeld. Pearl sehnt sich nach Stabilität und Luxus, Izzy will raus aus der verlogenen Welt der Shakers.
Welche Bedürfnisse haben Jugendliche? Und können Eltern diese überhaupt erfüllen? Gibt es Kinder, die in die falsche Familie hineingeboren wurden? Gibt es überhaupt so etwas wie falsche Familien?
Es kommt nicht von ungefähr, dass Mia Warren schließlich herausfindet, dass ihre chinesische Arbeitskollegin in ihrer Verzweiflung ihre neugeborene Tochter vor die Feuerwehrwache legte. Das Mädchen, von der Mutter schmerzlich vermisst, wächst jetzt ausgerechnet bei der besten Freundin von Elena auf, die sich immer ein Kind gewünscht hat und die Kleine über alle liebt.
Es kommt zum Prozess. Doch wie wird sich der Familienrichter entscheiden? Gehört das Kind zu seiner leiblichen Mutter – immerhin ist es ein chinesisches Kind, das geht es ja auch um Fragen, die später einmal auftauchen werden und kulturelle Aspekte –, oder soll das Kind zur Adoption freigegeben werden? Immerhin haben die Pflegeeltern Geld, sie lieben das Kind, sie betreuen es seit fast einem Jahr.
Kleine Feuer an jeder Ecke – lange bevor Izzy zum Streichholz greift.
Ein Buch, das mich beim Lesen sehr ergriffen hat. Denn ja, als Kind ging es mir ein bisschen wie Izzy. Und meiner Mutter ging es wohl wie Elena. Noch heute trennen uns ideologische Welten. Die Liebe muss zwischen diesen Räumen gefunden werden – eine andere Möglichkeit haben wir in Familien nicht.
Fazit: Ein Buch, durch das man durchrast, weil es so spannend ist. Ein Buch, das wütend macht und zum Nachdenken anregt. Celeste Ng wird noch öfters auf meinem Nachtkasterl landen!
empfohlen von Isabella Krainer
ausgeliehen aus der Stadtbibliothek Graz
Titel: Kleine Feuer überall
Autorin: Celeste Ng
Übersetzung aus dem Französischen: Claudia Marquardt
Verlag: dtv
Publikationsjahr: 2018
Seiten: 384
ISBN: 978–3‑423–28156‑0