NACHRICHTEN von MICAH

Titel: Nachrichten von Micah
Autorin: Alison McGhee
Thema: Völkermord an den Tutsi
empfohlenes Lesealter: ab 14 

Lesemotivation:
Das Buch stand in der Stadtbibliothek Graz im Regal der neuen Jugendbücher, das Cover schrie mir regelrecht entgegen, der Klappentext klang spannend und die paar Sätze beim Aufklappen machten neugierig.
Überraschend für mich war dann, dass es in dem Roman um eine Sekte geht – der Klappentext hatte nämlich in kleinster Weise darauf hindeutet. So war es also ein glücklicher Zufall, und wie gut, dass ich trotz Ablauf der Leihfrist (wir hatten unsere Urlaubsreise ungeplant verlängert) noch in das Buch hineingelesen habe, denn es hat mich von der ersten Seite an begeistert, sodass ich beschlossen habe, es frecherweise mit 2 Tagen Verspätung zurückzugeben. 

🐚 Inhalt:

Sesame und Micah sind ein Liebespaar. Es ist die ganz große Liebe, denn die beiden sind füreinander bestimmt, das spüren sie vom ersten Tag an. Sesame und Micah können stundenlang miteinander reden, sie erzählen einander alles (selbst das, was niemand sonst wissen darf) und malen sich eine gemeinsame Zukunft aus, in der sie ein Café betreiben. Eines, in dem niemand Hunger leiden muss, auch die Armen nicht, und in dem es von allem genug gibt, nicht nur von den wunderbaren Speisen, die Micah zubereitet, sondern auch von den Gedichten, die Sesame so liebt. Denn Gedichte helfen, wenn man traurig ist, das weiß Sesame, die heimlich Lyrikboxen befüllt, nur zu gut aus eigener Erfahrung. 

Doch dann verschwindet Micah eines Tages spurlos. Zurück im Haus seiner Eltern bleiben drei Mobiltelefone und eine verschlüsselte Nachricht. Sesame weiß sofort, was sie zu bedeuten hat. Denn Micahs Eltern sind einer Sekte beigetreten, und der Prophet hat in letzter Zeit öfters angekündigt, mit den Mitgliedern in den Südkomplex übersiedeln zu wollen. 

Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht der beiden Jugendlichen erzählt. Während Micah im Waschkeller des Südkomplexes gefangen gehalten wird, wo er die weißen Gewänder der Sektenmitglieder mit kaltem Wasser und einer alten Waschrumpel reinigen muss, während seine eigenen Eltern immer mehr verschwinden und Micah sich als Einziger gegen den Propheten auflehnt, zieht Sesame los, um ihren Freund zu suchen. Zuerst allein – denn so hat sie es von ihrer Grandma gelernt. Wenn du willst, dass was geschieht, verlass dich nur auf dich selbst und sei vorsichtig, wem du vertraust. Aus diesem Grund lebt Sesame seit Grandmas Tod allein – in der Garage eines verlassenen Hauses, von dem niemand außer Micah wissen darf.
Doch im Laufe ihrer Suche stellt Sesame fest, dass es manchmal durchaus Sinn macht, sich anderen anzuvertrauen und um Hilfe zu bitten. Denn die Welt ist nicht so schlecht, wie ihre ängstliche Grandma es ihr beigebracht hat. 

💬 Meine Meinung
McGhee hat keinen typischen Sekten-Thriller mit einem fulminanten Showdown geschrieben. Überhaupt erfahren wir von der Sekte, die Micah gefangen hält, nicht viel. Das müssen wir auch gar nicht. Alles, was uns erzählt wird: Micahs Eltern waren einmal ganz normale Menschen, mit normalen Berufen, Menschen, die gern Brettspiele spielten und ein Glas Wein tranken. Bis sie eines Tages auf Geheiß des Propheten die Bilder abnahmen, die Wände weiß strichen, ihre Jobs kündigten, ihr Erspartes überwiesen und auf den Tag zu warten begannen, an dem man sie endlich abholen würde.
Worum es in Nachrichten von Micah geht? Es geht um Freundschaft. Um Liebe, um Vertrauen, aber auch um Abhängigkeit. Denn während Sesame ihren Freunden zu wenig vertraut und erst lernen muss, dass man nicht immer alles mit sich allein ausmachen muss, vertrauen Micahs Eltern blind und opfern letztendlich sogar ihren eigenen Sohn.
Die Spannung ergibt sich dadurch, dass wir mit den beiden Hauptfiguren mitfiebern. Wird Sesame Micah finden? Und wie geht es mit Micah weiter? Was wird der Prophet tun, wenn Micah weiterhin widerspricht?
Besonders fasziniert hat mich vor allem die sprachliche Umsetzung. McGhee erzählt nicht einfach nur eine Geschichte, sondern lässt die Menschen miteinander interagieren. Da ist einerseits Sesame, die ihre Lyrikboxen befüllt – anfangs mit Gedichten und schließlich mit den Suchanzeigen, auf die sie anonyme Antworten erhält, die sie durch die Tage tragen werden. Und dann ist da Micah, der sich in seiner Not an Sesame wendet. Ihren Namen ausspricht, immer wieder, und ihr erzählt. Von den Dialogen mit dem Propheten, dem er den Großbuchstaben und die Vokale nimmt, indem er ihn nur mehr als “prpht” anspricht, und dem versteckten Hello Kitty-Notizbuch, in das er nicht mehr schreiben kann, weil man ihm den dazu passenden Stift weggenommen hat. Und dann ist da Grandmas letzte Botschaft an Sesame. Oder auch der kleine Nachhilfeschüler, der Gedichte für Micah schreibt. Da sind James 1 und James 2, die spüren, dass Sesame Hilfe braucht und sich dennoch nicht aufdrängen. Und Sesames Freude, die schließlich nicht mehr zusehen können und endlich sagen, was Sache ist. Nämlich, dass man besten Freunden die Wahrheit zumuten kann.
Es sind vor allem die liebenswerten Menschen, mit all ihren Fehlern und Ängsten, mit ihrer Einsamkeit und auch ihrer Liebe zueinander, die dieses Buch so zauberhaft machen.

Fazit
Nachrichten von Micah ist unheimlich zart und dennoch hochemotional, spannend und ja, auch witzig. Ein Buch, das einem regelrecht das Herz aufgehen lässt und das ich allen empfehle, egal ob Teenager oder erwachsen. 

Stadtbibliothek Graz

Titel: Nachrichten von Micah
Autorin: Alison McGhee
Übersetzung: aus dem Englischen von Birgitt Kollmann
Verlag: dtv
Publikationsjahr: 2022 (Original 2020)
Seiten: 256
ISBN: 978–3‑423–65037‑3
Alter: ab 14
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