Titel: Der Hausmann
Autorin: Wlada Kolosowa
???? Inhalt:
Ein junges Pärchen zieht in eine neue Wohnung, weil die alte zu teuer wurde. Er, Tim, Künstler, arbeitet gerade an seiner Graphic Novel, Thema: Klimawandel (hoch oben im Norden taut der Permafrostboden.) Tims Freundin Thea ist diejenige, die das Geld nach Hause bringt, gerade eben hat sie bei einem Start-up begonnen, wo sie sich um die Social-media-Kampagnen für veganes Hundefutter kümmert. Theas Eltern sind stinkreich, Tim ist der Sohn einer Putzfrau. Von Letzterer bekommt man nichts mit, bei Theas Eltern hingegen finden regelmäßige Zusammenkünfte statt – die Pflichtbesuche. Und natürlich halten Theas Eltern gar nichts davon, dass sich ihre Tochter einen “Hausmann” geangelt hat. Tim ist ihnen zu wenig männlich, zu träge, zu verträumt.
In dem Haus, in das die beiden ziehen, wohnen auch Maxim, ein junger geflüchteter Mann aus der Ostukraine und Dagmar, Rentnerin, und Neo-Bloggerin. Während Dagmar sich von Tim bei ihrem Computerproblem helfen lässt, lässt sich Maxim von Tim sein Deutsch korrigieren.
???? Meine Meinung
Die Handlung wirkt aufs Erste nicht besonders spektakulär, zu Beginn ist sie es auch nicht. Es sind Menschen, wie es sie tatsächlich geben könnte. Genau das ist das Schöne an diesem Buch. Kolosowa fängt den Sound unserer Zeit ein – denn Tim und Thea handeln und sprechen , wie es junge Menschen aus der gebildeteren Schicht tun. Dagmar wiederum, die mit ihren Follower:innen per Sie ist, selbst wenn sie ihnen erklärt, wie sie gratis an Klopapier kommen, weiß, dass sie unsichtbar ist – wie alle alten Menschen. Nicht einmal ihr Sohn kommt zu Besuch – anders als Tim. Der wiederum arbeitet an seiner Graphic Novel und weigert sich, um Arbeitslosengeld anzusuchen (er ist doch nicht arbeitslos, sondern Künstler!), während Thea unter dem Druck im Job zunehmend zusammenbricht, was Tim zwar bemerkt, aber er hält Thea nur Vorträge über die Ausbeutung der Millennials. Maxim wiederum möchte besseres Deutsch lernen, weswegen er seine Erlebnisse und seine Erinnerungen an das Leben in der Ostukraine in einem Übungsheft festhält (wobei er mit seinen Erzählungen immer an eine Lektion anknüpft). Was Maxim gar nicht mag: Wenn man ihm Fremdwörter erklärt. Nur weil er die Artikel und Verbflexionen noch nicht beherrscht, heißt das ja nicht, dass er ein ungebildeter Trottel ist.
Fazit: Kolosowa greift Themen auf, die aktueller nicht sein könnten. Krieg in der Ukraine, Asyl, Klimawandel, Gentrifizierung, Einsamkeit im Alter, Ausbeutung im Job … Dabei bedient sich die Autorin unterschiedlicher Formate, denn alles, was wir über Theas Gedanken erfahren, wissen wir aus dem Firmenchat, Dagmar lernen wir nur über ihren Blog kennen und Maxim nur durch sein Übungsheft. Einzig Tim wird uns über die “normale Erzählform” nähergebracht, sein Graphic Novel gibt es als Zusatz zwischen den Seiten. Bei sehr vielen Romanen geht so ein Vorhaben schief. Nicht so hier. Kolosowa ist mit “Der Hausmann” tatsächlich ein kleines Wunderwerk gelungen!
Die Autorin beherrscht nicht nur ein jedes dieser Formate, sondern nützt sie bewusst, um Stereotype zu vermeiden und der Handlung Schwung zu verleihen. Besonders berührend ist Maxims Bericht. Wenn er etwa von den Sneakers erzählt, wie er sie nennt, die in seiner Heimat plötzlich das Sagen hatten, oder auch von jungen Männern, die freiwillig in die Uniform schlüpften, und von denen einer in Maxims Armen starb. Viel lieber aber erinnert sich der Ukrainer an die schönen Dinge, wie etwa, wie er und seine Freunde an den Mädchen“klebten”, denn so machen es die jungen Männer in seiner Heimat, wenn sie Frauen kennenlernen wollen. In Deutschland funktioniert das gar nicht. Überhaupt ist so vieles anders in Deutschland, Maxim findet es seltsam, dass die reiche Thea in so schäbige Klamotten herumläuft. Oder dass es hier nicht normal ist, einfach an der Tür zu läuten, wenn man sich um eine Person, die man mag, sorgt.
Das alles schreibt der junge Ukrainer in sein Heft, wobei er einmal besonders auf die Artikel achtet, dann wieder übt er Perfekt und Futur. Oder auch die Möglichkeitsform, in der er sich fragt: Hätte ich mich anders verhalten, würde es einen Unterschied machen?
Genau diese Frage ist es auch, die die Menschen in Kolosowas Roman verbindet. Denn eines Tages öffnet Tim die Haustür und wird ins Gesicht geschlagen. Man hält ihn für Braunbär, es geht ganz offensichtlich um Drogen. Doch steckt tatsächlich Maxim hinter der Dealerei?
Und Thea? Die bekommt von alldem gar nichts mit, denn sie ist nur mehr mit ihrem performance score beschäftigt, der einfach nie gut genug ist … bis sie von ihrer besten Freundin gefeuert wird.
“Der Hausmann” ist ein Buch, das ich nur allen ans Herz legen kann – und damit meine ich wirklich alle, von 20 bis mindestens 80. Denn in ihrem Roman bringt Kolosowa auch die Generationen zusammen. Das funktioniert vor allem dadurch, dass ihre Figuren so schön lebensecht sind – mit all ihren Schwächen und Vorurteilen.
Eine Rezension von mir erschien in & Radieschen – Zeitschrift für Literatur #64/2022
Titel: Der Hausmann
Autorin: Wlada Kolosowa
Illustrationen: Raúl Soria
Verlag: Leykam
Publikationsjahr: 2022
Seiten: 320
ISBN: 978–3‑7011–8253‑4