WEANA GSCHICHT und WEANA GSCHICHTLN

Titel: Weana Gschicht und Weana Gschichtln – Fom End fon da Ma nachie bis häht
Autor: Ludwig Roman Fleischer

Im Sommer erschien Band zwei von Ludiwig Roman Fleischers Weana Gschicht und Weana Gschichtln. Wurde in Band eins in rasendem Tempo Wiens Geschichte “fon da Stahzääd bis zur Easchtn Republik” zusammengefasst , geht es im zweiten Teil um die 100 Jahre zwischen dem “End fon da Maŋnachie bis häht”.
A bissadl nasaler scheint dem Fleischer sein Ton als der seiner Wiener Kolleg:innen, so kommt es einem zumindest beim ersten Durchblättern vor, wenn man etwa die Kapitelüberschrift „Friednsfatråg fon Säuŋ Scheamäuŋ“ liest.
Abschrecken soll diese Schreibweise aber nicht, ganz um Gegenteil. Allein schon, weil man sich die Geschichtslektionen und Einschübe über die “Weana Originäula” (wie etwa die Nöstliŋnga Christl, die Måhla Alma oder den Schnekadl Prohaska) vorlesen lassen kann, das Buch enthält nämlich wieder 2 CDs. Und auf diesen plaudert der „Wickadl“ mit einem Dialekt und einer Stimme, dass man, sobald man zu Ende gehört hat, gleich nochmals von vorn beginnen möchte (ich hab’s dann auch getan). (Und wenn man die CDs einmal gehört hat, versteht man auch die Niederschrift und liest sie quasi mit links.)
Dass in den ersten Lektionen von den Katzlmåcha (für Italiener) und den Mammelaadiŋnga (für Deutsche) die Rede ist, hat uns in der Morgenschtean-Redaktion natürlich aufhorchen lassen. Andererseits: Gehören nicht auch diese Wörter zur Geschichte Wiens und vor allem zum damaligen Sprachgebrauch?
Und falls sich jetzt jemand von unseren jungen Leser*innen fragt, woher die abfällige Bezeichnung Katzlmåcha, die man in den 60ern noch für die italienischen Gastarbeiter verwendete, kam: mit Katzen oder gar Kinderkriegen hat der Begriff nichts zu tun. Man kann das Wort jetzt natürlich googlen – oder sich Fleisches “Weana Gschicht und Weana Geschichtln” besorgen. Was ich an dieser Stelle ohnehin wärmstens empfehlen möchte. Denn der Crashkurs in Geschichte frischt nicht nur so manches Wissen auf und vertieft es sogar an einigen Stellen, sondern macht – im Gegensatz zu den faden Vorträgen der meisten Lehrenden – auch unheimlich Spaß, und: Man lernt darüber hinaus so richtig schön Weanarisch. 

Noch spannender als die erste CD empfand ich dann fast die zweite. Auf der geht es nämlich um die jüngste Zeitgeschichte, die natürlich nicht nur Wien, sondern ganz Österreich betrifft. Fleischer ruft Zusammenhänge in Erinnerung, die vielen Wähler:innen heute entweder egal oder einfach nur wuscht zu sei scheinen – ich sag’ nur: Gründung der FPÖ. Eventuell, so meint Fleischer, war der Schachzug vom Kreisky, es sich mit den alten Nazi gut zustellen “wäu’s zfüh dafaŋ gibt und’s bessar ist, ma integriad’s bäh de Roodn, ois wia si geŋngan zu de Frähhähtlichn”, gar nicht so unklug.
Für die heute Zwanzigjährigen ist wahrscheinlich selbst die Ära Kreisky schon grauer Schnee von gestern – ebenso wie die roten und schwarzen Parteibücherln, ohne die man sehr lange nicht weit gehupft ist in Wien.
Die letzten zwei Jahrzehnte – vom Müllehnjum bis häht – hätte ich mir dann fast auf einer eigenen, dritten CD gewünscht. Aber da wird wohl erst noch ein bisserl Gras über manches wachsen müssen, bis der Wickadl wieder mit dem Rasenmäher kommt, um so manches, was Wean lieber vergessen möcht, wieder offenzulegen. 

(rezensiert für Morgenschtean – Die österreichische Dialektzeitschrift, U74-75/Nov. 2022
> ein schriftliches Interview, das ich mit dem Autor geführt habe, kann hier gelesen werden)

Weana Gschicht und Weana Gschichtln
Fom End fon da Ma nachie bis häht. Geschichte Wiens auf Wienerisch
mit 2 Audio-CDs
Autor: Ludwig Roman Fleischer
Verlag: Sisyphus

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