HUNDEPARK

Titel: Hundepark
Autorin: Sofi Oksanen

Eine Frau – Olenka, wie wir später erfahren werden – sitzt auf einer Parkbank in Finnland. Sie erkennt die scheinbar Unbekannte, die sich ans andere Ende der Bank setzt, nicht, denn Olenka ist nicht hier, um Kontakt zu suchen. Im Gegenteil. Sie hat sich ein Buch mitgenommen und raschelt mit den Seiten, um der Fremden zu signalisieren, dass sie nicht angesprochen werden möchte. Nicht, weil sie zum Lesen hier ist. Nein, es hat einen anderen Grund, warum Olenka in den Hundepark kommt. 

❀ Das Buch war für mich ein freudiger Überraschungsgriff – bei meinem letzten Büchereibesuch lag es bei den Neuerscheinungen, und da es auf meiner Leseliste stand, habe ich mir das Exemplar geschnappt und in mein Büchersackerl gesteckt. 

???? Inhalt:
Olenka, die als Model keinen Erfolg hatte, möchte ihrer Mutter und ihrer Tante, die sich ihr bescheidenes Dasein mit dem Anbau von Mohn und dem Verkauf des Rohopiums finanzieren, ein besseres Leben bieten. Als man ihr anbietet, Eizellenspenderin zu werden, ist sie froh, dass es sich bei der Agentur nicht um eine Brautvermittlung handelt – oder gar um Organspenden. Nur Snischne muss aus Olenkas Lebenslauf raus. Snischne ist jener Ort im Donezbecken, in den Olenka als Kind mit ihren Eltern zieht. Nach dem Zerfall der Sowjetunion, als sich die Familie mit ukrainischen Wurzeln in Tallinn nicht mehr willkommen fühlt, bekommt Olenkas Vater einen Anruf seines alten Schulfreundes. Dieser verspricht, dass es nun endlich eine Möglichkeit gibt, auch einmal zu den Gewinnern zu gehören. Doch Snischne wird für die Familie zur Katastrophe und Olenka zur Halbwaise. 
Jahre später macht Snische wieder Probleme, diesmal im Lebenslauf der zukünftigen Eizellenspenderin. Zu belastet ist die Luft in dem Kohleabbaugebiet. Gib nie an, dass du in Snischne aufgewachsen bist. Oder auch in der Nähe von Tschernobyl. Schließlich wollen die reichen Familien aus dem Westen gesunde Kinder, mit gesunden Genen und dichtem Haar wie aus der Schampoowerbung. Am besten von einer Eizellenspenderin, die zur Uni geht, denn das spricht für ihre Intelligenz. Sportlich soll sie auch noch sein – und natürlich muss die Spenderin beweisen, dass auch ihre Familie körperlich und geistig gesund ist, bis in die 3. Generation, und dass sie auch das Geld nicht nötig hat. Schließlich soll die Spenderin aus Überzeugung handeln und nicht aus Profitgier.
Olenka spendet nicht nur, sondern steigt in dem Unternehmen auf. Jetzt ist sie es, die die Lebensläufe der Spenderinnen fälscht, um die westlichen Kund:innen zufriedenzustellen. Oder auch jene, die durch illegale Geschäfte zu Reichtum gelangten. 

Sofi Oksanen erzählt von Ausbeutung. Da sind einerseits die “Romantiktouristen”, die ins Land kommen, und dann die kinderlosen Familien aus dem Westen, die nur deswegen in die Ukraine reisen, weil die Spenderinnen hier keinerlei Rechte haben. Auf der anderen Seite stehen die jungen Mädchen (teilweise direkt aus den Waisenhäusern “gefischt”), die gegen Geld ihre Gesundheit opfern. Oder auch mehr. Denn wer studieren möchte, braucht Kapital, und das gibt es in den Familien, in denen die Väter und Brüder in den illegalen Bergwerken arbeiten, nur selten.
Und dann gibt es da noch die Gewinner der einstigen Privatisierungswellen, die meinen, sich mit ihrem Geld alles kaufen zu können und die mit jenen, die sich ihnen in den Weg stellen, alles andere als zimperlich umgehen.
Während der Volkszorn längst brodelt, flattern im Regierungspalast die Vögel herum. Aber das, wie auch den Beginn der Kriegshandlungen in der Ostukraine, bekommt Olenka, die mit einem falschen Pass in Finnland lebt, nur noch aus der Ferne mit. 

???? Meine Meinung:

Hundepark ist kein Buch für ein entspanntes Wochenende. Ganz im Gegenteil. Das Buch wühlt auf und es macht wütend. Und ja, man muss sich schon ein bisschen konzentrieren, vor allem im ersten Teil, um den Überblick zu behalten, denn Sofi Oksanen lässt die Ich-Erzählerin in (nicht chronologischen) Rückblenden erzählen. Dabei greift sie viele brisante Themen auf, die sie erst nach und nach zu einem klaren Bild verwebt. Da muss man schon ein bisschen Geduld und vor allem Zeit am Stück mitbringen (also bitte nicht immer nur 3 Seiten vor dem Schlafengehen lesen, sonst kann es passieren, dass man den Faden verliert).
Hundepark ist kein rasanter Pageturner. (Wer hier mitliest, weiß jedoch schon, dass mich das überhaupt nicht stört.)
Letzten Endes liest man dieses Buch aber ohnehin nicht, um zu erfahren, wer da wen warum ermordet hat. Hundepark besticht viel eher durch seinen schonungslosen Blick auf die Ukraine der frühen 90er bis ins Jahr 2009 – verpackt in eine mitreißende Familiengeschichte, die sich erst nach und nach entfaltet. 

Fazit: Eine Neuerscheinung, die ich absolut empfehlen kann. Aber Vorsicht. Das Buch macht wütend. Und man sollte Facebook & Co ausschalten, um nicht abgelenkt zu werden, denn das Buch will aufmerksam gelesen werden. 

ausgeliehen von Stadtbibliothek Graz

Titel: Hundepark
Autorin: Sofi Oksanen
Übersetzung: aus dem Finnischen von Angela Plöger
Genre: Roman (literarischer Thriller)
Verlag: Kiepenheuer & Wisch
Publikationsjahr: 2022 (Original 2019)
ISBN: 978–3‑462–00011‑5

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