Titel: Die Unbezähmbaren
Autorin: Cornelia Koepsell
In „Die Unbezähmbaren” geht es um zwei Frauen. Die eine von ihnen (Frieda) ist die Tante der anderen (Julia).
Frieda, die am Ende des Krieges aus ihrer Heimat vertrieben wurde, hat sich (ebenso wie Julias Mutter) eine neue Existenz in Schleswig-Holstein aufgebaut.
Als Julia zum Teenager heranreift, hat Frieda bereits mehrere Fehlgeburten hinter sich, sie ist geschieden und lebt allein. Julia besucht ihre Tante oft. Frieda setzt dem Mädchen allerdings „Flausen in den Kopf“, denn sie versucht, ihre Nichte zu einer selbstständigen Frau zu erziehen. Julia soll sich nichts gefallen lassen, sie soll nie in Abhängigkeit eines Mannes geraten. Julia soll ihr Leben nach eigenen Vorstellungen leben.
Auch Frieda genießt ihr Dasein als Geschiedene immer mehr, wenngleich sie von anderen schief angeschaut wird (vor allem als sie sich in den verheirateten Vorgesetzten verliebt und feststellen muss, dass sie gegen ihre Gefühle machtlos ist).
Frieda, die sich später sogar mit einem Tante-Emma-Laden selbständig machen wird, beginnt ihre Gedanken niederzuschreiben, auch erste Kurzgeschichten entstehen. Doch erst als sie sich ein männliches Pseudonym zugelegt, werden ihre Texte abgedruckt.
Julia ist Friedas einzige Vertraute, die Einzige mit der Frieda so reden kann, wie sie wirklich denkt.
Für Julia wiederum wird Frieda zum großen Vorbild. So sehr, dass Julia es sich mit der Deutschlehrerin verscherzt und die Schule wechseln muss.
Hart wie Kruppstahl war die Kriegsgeneration.
„Das musst du aushalten“, hieß es, wenn jemand zu zerbrechen drohte. Über Kriegstraumata wurde nicht gesprochen, neigte jemand zu Gewalt, hieß es, der oder die habe eben viel durchgemacht. Männer schlugen ihre Frauen, Lehrer*innen brüllten herum oder wurden handgreiflich. Eingeschritten hat niemand.
Wie es Frauen in der Ehe ging, wollte in den Jahrzehnten nach dem Krieg niemand wissen. Trank der Mann zu viel, schafften die Frauen es in den Augen der anderen bloß nicht, ihn vom Trinken abzuhalten. Ging der Mann fremd, unterstellte man der Frau, frigide zu sein. Schlug der Mann zu, hieß es: Hättest dir so einen eben nicht ausgesucht.
Von den Frauen der Nachkriegsjahre wurde erwartet, dass sie ihren Männern jeden Wunsch von den Augen ablasen. Niemand fragte nach, wie es ihnen während des Krieges ergangen war, wie sie es geschafft hatten, sich und die Kinder zu ernähren. Die Männer waren wieder da, die Frauen hatten sich zu fügen. Auch die Erziehung war geprägt von den Regeln, die man während der Nazi-Diktatur eingetrichtert bekommen hatte.
Die Diktatur war untergegangen, rein äußerlich herrschte Demokratie, jedoch streckte das Dritte Reich seine langen Spinnenfinger in die Bereiche Familie, Fabrikhalle, Büro. Hier herrschte weiterhin das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Hier brüllten die kleinen Diktatoren sich die Kehlen wund.
(S. 106/07)
Die große sexuelle Freiheit gab es für die Frauen ebenfalls nicht. Einzig der Mann konnte sich jetzt noch freier ausleben, sei es im fremden oder auch im eigenen Bett. In den 1970ern und 1980ern galt eine Frau, die keinen Mann hatte, nach wie vor als „Übriggebliebene“ oder “alte Jungfer”.
In „Die Unbezähmbaren“ zeigt Cornelia Koepsell, wie absurd manche Erwartungshaltungen waren und zum Teil heute noch sind.
Von den Frauen der Kriegsgeneration wurde erwartet, dass sie Ehemänner fanden – und das, obwohl die Männer fehlten, denn zu viele von ihnen waren auf den Schlachtfeldern “gefallen”.
Und wie oft hieß es, die Mädchen sollten nicht so viel lesen. Auch Julias Vater meint: Lesende Frauen sind „Frauen die sich für sehr schlau halten und über dem Bücherlesen ihre Pflichten vergessen“, worauf Julia kontert: „Bei Paul beschwerst du dich doch, dass er zu wenig in seine Bücher schaut und nur Fußball dem Kopf hat, bei mir wiederum ist es nicht recht, dass ich viel lese und deshalb zu schlau werde.“ (S. 138).
Am Ende des Romans ist Frieda tot. Die erwachsene Julia hilft ehrenamtlich im Frauenhaus aus. Dort bekommt sie mit, wie oft Frauen zu ihren Peinigern zurückkehren – nicht selten aus Angst.
Der gefährlichste Zeitpunkt in einer gewalttätigen Beziehung ist, wenn die Frau gehen will.
(S. 211)
Koepsell beamt uns beim Lesen nicht in ein anderes Leben, vielmehr begegnen wir den Frauen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Wir entwickeln mehr Verständnis, und ja, vielleicht stellt sogar die eine oder andere von uns fest, dass die eigene Mutter oder Großmutter (oder auch Urgroßmutter) wesentlich emanzipierter war als wir sie bisher wahrgenommen haben .…
Ein Roman, der erschüttert, berührt und wütend macht. Mit meinen 48 Jahren habe ich festgestellt, wie vieles selbst in den Neunzigern noch galt. Und sein wir mal ehrlich: Wie oft müssen wir Frauen uns heute noch rechtfertigen, wenn wir allein verreisen (oder gar das Hotelzimmer mit einem guten Freund teilen), wenn wir lieber single bleiben, wenn wir keine Kinder großziehen wollen …
Insofern wäre “Die Umzähmbaren” ein guter Unterrichtsstoff. Koepsell ermutigt mit der Geschichte der Frieda Frauen nicht nur, ihren eigenen Weg zu gehen und sich in jeder Situation Freiräume zu schaffen, sondern zeigt auch, dass es jeder von uns passieren kann, sich in den Falschen zu verlieben. Frauen sind nicht “selber schuld”, wenn es passiert – auch wenn ihr Umfeld es ihnen im Jahr 2024 nach wie vor zu großen Teilen einredet.
(rezensiert für “&Radieschen – Zeitschrift für Literatur”)
Titel: Die Unbezähmbaren
Autor*in: Cornelia Koepsell
Verlag: Geest
Erscheinungsjahr: 2023
Seiten: 250
ISBN: 978–3‑86685–975‑3